Die Oldenburger Hundehütte: Historie
Das Giebelhaus in Oldenburg
Bemerkungen zu einem Haustyp des 19. Jahrhunderts von Michael W. Brandt*
Das eineinhalbgeschossige verputzte giebelständige Haus ist der vorherrschende Bautyp des bürgerlichen Wohnhauses in zahlreichen nach der Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen Straßenzügen
Oldenburgs. Kennzeichnend ist die zur Straße hin gewandte, je nach den wirtschaftlichen Möglichkeiten und dem Repräsentationsbedürfnis des Bauherrn mit Schmuckelementen verzierte Giebelfront. Die
Giebelseite des Hauses kann sich über vier oder fünf Achsen erstrecken. In den zeitlich frühen Beispielen erfolgt die Erschließung des Hauses noch durch einen in der Mitte der Giebelfassade gelegenen
Eingang, doch setzt sich schnell der seitlich gelegene, häufig durch einen separaten Anbau hervorgehobene Eingang durch. Der Grundriss des Giebelhauses zeichnet sich durch eine optimale Ausnutzung
der zur Verfügung stehenden Fläche aus. Die repräsentativen Wohnräume des Erdgeschosses liegen, in der Regel parallel angeordnet, zur Straße hin. Im Obergeschoß wird durch die Einführung eines
Drempels zusätzlicher Wohnraum geschaffen, der auch als separate Wohnung vermietet werden kann. Am Außenbau bewirkt der Drempel eine aus ästhetischen Gründen offenbar gewünschte Vergrößerung der
Giebelfläche. Je nach den hydrographischen Gegebenheiten des Baugrundes und den finanziellen Möglichkeiten des Bauherrn wird ein zusätzliches Souterraingeschoß eingefügt. Gegen Ende des Jahrhunderts
variieren ein vorgebauter Altan und ein zurückgelegter seitlicher Erschließungstrakt den Grund- und Aufriss. Bestimmend bleibt aber die zur Straße hin gewandte Giebelfront. Die hier definierte Form
des Giebelhauses ist über das gesamte Oldenburger Stadtgebiet, mit Ausnahme der Altstadt innerhalb der ehemaligen Wälle und der Neubaugebiete des 20. Jahrhunderts, verbreitet. In der Regel treten die
Giebelhäuser nicht als Solitärbauten auf, sondern prägen im Zusammenwirken mit formal gleich konzipierten Häusern ganze Straßenzüge. Diese städtebauliche Situation hat sich in den Neustadtquartieren
Dobben und Haarenesch beispielhaft erhalten.
Der für Oldenburg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts so charakteristische Typ des Giebelhauses, für den sich die wenig schmeichelhafte, angeblich auf den Philosophen Carl Jaspers
zurückgehende Bezeichnung „Oldenburger Hundehütte" herausbildete, hat mehrfach Anlass zur Frage nach seiner Herkunft gegeben 1). Michael Neumann leitet das Giebelhaus in der Stadt Oldenburg vom
Vorbild des niedersächsischen Dielentorhauses, also aus ländlichen Baugewohnheiten ab, und vermutet, dass die im 19. Jahrhundert zahlreich in die Stadt zugezogenen Landbewohner ihre Bautraditionen
mitgebracht und dem städtischen Rahmen angepasst hätten. Tatsächlich war der Anteil ehemaliger Besitzer oder Abkömmlinge von Marschbauernhöfen unter den Zuwanderern sehr hoch. Sie ließen sich meist
als Rentiers in der Gegend nördlich der Ofener Straße und des Pferdemarktes nieder 2). Kurt Asche verweist dagegen auf die Tradition des in den norddeutschen Städten seit dem Mittelalter als
mehrstöckiges Giebelhaus ausgebildeten Bürgerhauses. Auch in Oldenburg bildete das oftmals reich dekorierte giebelständige Haus spätestens seit dem 16. und 17. Jahrhundert die adäquate Form
bürgerlichen Bauens, wie die erhaltenen Beispiele in der Lange Straße (Nrn. 76, 77 und 89) zeigen.
Es muss aber gefragt werden, ob allein architekturhistorische Vorbilder ausschlaggebend für die Bevorzugung dieses Bautyps in den Oldenburger Neustadtquartieren des 19. Jahrhunderts waren. Ein Blick,
zum Beispiel nach Osnabrück, zeigt, dass das Giebelhaus auch außerhalb des Oldenburger Landes im gleichen Zeitraum große Verbreitung gefunden hat3). Es dürften wohl eher andere Faktoren, vor allem
wirtschaftlicher Art, entscheidend für die Ausprägung dieser Hausform gewesen sein. Gegenüber dem in Oldenburg in der bürgerlichen Architektur der ersten Jahrhunderthälfte dominierenden Traufenhaus,
das vor allem im Klassizismus eine beherrschende Rolle im Stadtbild spielte, bietet das Giebelhaus eindeutige ökonomische Vorteile. So benötigt das Giebelhaus eine sehr viel geringere
Grundstücksbreite als das Traufenhaus und die Einzelbauten können näher aneinandergerückt werden, ohne dass sie in ihrer Wirkung beeinträchtigt werden. Die in Oldenburg offenbar stets gewünschte
Möglichkeit, das Haus mit einem Garten zu umgeben, konnte trotzdem beibehalten werden. Die Rück- und Seitenfronten können, da sie von der Straße nicht oder kaum einsehbar sind, weitgehend undekoriert
belassen werden. Wie ein Gang durch das Dobben- oder Haareneschviertel zeigt, konzentriert sich die repräsentative Dekoration der Oldenburger Giebelhäuser fast ausschließlich auf die straßenseitige
Giebelfront, variiert hier aber den schlichten Haustyp auf individuelle und vielgestaltige Weise. Die Konzentration des aufwendigen Dekors auf eine Schauseite bedeutet eine erhebliche
Kostenersparnis. Gleichzeitig können wesentliche Dekorelemente in dem preiswerten Baumaterial Holz gestaltet werden, da die hölzernen Giebelschrägen als Teil des Daches mit in die Verzierung
einbezogen wurden. Aufwendige Schnitzereien im Giebelbereich haben sich bei einigen Oldenburger Giebelhäusern bis heute erhalten. Dass der Giebelschmuck beim Bau der Häuser eine wichtige Rolle im
Dekorationssystem gespielt hat, zeigen historische Aufnahmen einzelner Straßenzüge im Dobben- und Haareneschviertel.
Die vorgegebenen Grundstückszuschnitte in diesen Vierteln dürften wegen der besseren Platzausnutzung einen wesentlichen Anstoß zur Wahl des Giebeltypus gegeben haben. Sowohl im Dobben- als auch im
Haareneschviertel lässt sich beobachten, dass die Grundstücke fast durchgängig den gleichen Zuschnitt aufweisen: Die Schmalseiten des Grundstückes liegen zur Straße hin, daran schließt sich ein
relativ tiefes Grundstück an, das neben dem an der Straße stehenden Haus noch genügend Raum für einen großen Garten oder Hofbereich bietet. Diese einheitliche Parzellierung erklärt sich aus der
Entstehungsgeschichte dieser beiden Neustadtquartiere. Der Grund und Boden wurde von Unternehmerkonsortien aufgekauft, parzelliert, mit Wohnhäusern bebaut und anschließend an Interessenten verkauft.
So lässt sich für das Dobbenviertel belegen, dass hier Baumeister wie Heinrich Christian Anton Früstück (1827-1913) und sein Sohn Heinrich Georg (1868-1947) sowie Carl Friedrich Spieske (1840-1903)
nicht nur als Architekten, sondern gleichzeitig als Bauunternehmer und Baustoffhändler tätig waren 4). Heinrich Christian Früstück tritt zusammen mit dem Osternburger Mühlenbesitzer Diedrich Oltmann
am 13. November 1875 als Käufer eines großen Areals im späteren Dobbenviertel auf. Wenige Tage danach, am 17. November 1875, wurde zwischen dem Magistrat und den beiden Grundstückskäufern der
sogenannte Dobbenvertrag geschlossen, der die planmäßige Erschließung und Bebauung des Dobbenviertels festlegte. Darauf erfolgte sehr schnell die Bebauung der neuen Straßenzüge und ein rascher
Verkauf der fertigen Häuser. Einige fanden bereits als Rohbau ihren Abnehmer. Als Haustyp wurde das in der Raumausnutzung vorteilhafte und in der Konstruktion schnell und preiswert zu erstellende
Giebelhaus bevorzugt. Eine ähnliche Entwicklung ist auch in den nördlichen Neustadtvierteln zu beobachten, wo Bauunternehmer wie Wempe und die Gebrüder Oetken ganze Straßenzüge mit einheitlichen
Typenhäusern in Form des Giebelhauses errichteten.
Diese durch Immobilienspekulation vorangetriebene Entwicklung von Neubauvierteln in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist keine auf Oldenburg beschränkte Entwicklung. Eine annähernd ähnliche
Erschließung neuer Wohnviertel führte zum Beispiel in Bremen zur Ausbildung eines Reihenhaustyps, der als Bremer Haus bekannt geworden ist 5). In Oldenburg wurde dagegen, vermutlich wegen des
größeren Flächenangebots und geringerer Grundstückspreise, das bis heute das Stadtbild prägende Giebelhaus bevorzugt, das gegenüber dem Reihenhaus eine erheblich größere Nutzfläche und individuellere
Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Wie das Bremer Reihenhaus des 19. Jahrhunderts stellt auch das Oldenburger Giebelhaus einen Grundtypus zur Verfügung, um durch eine Serienbebauung ganzer Straßenzüge
eine möglichst kostengünstige Bebauung zu erreichen. Anders als beim Bremer Haus verzichtet das Oldenburger Giebelhaus aber auf die gleichzeitige Standardisierung des Dekors. Die Vielfalt und
Variationsbreite der Schmuckformen bewirkt eine starke Individualisierung der einzelnen Häuser, obwohl Hausform und Grundrissschema den einmal ausgebildeten Typus immer nur wiederholen. In dieser
Verbindung von „Konfektionsbau" und dem Streben nach persönlichem Ausdruck zeigt sich die besondere Leistung und Qualität des Oldenburger Giebelhauses. Auf geradezu ideale Weise verbindet es hohe
Wirtschaftlichkeit mit dem Repräsentationsanspruch bürgerlicher Bauherren einer Residenz- und Verwaltungsstadt des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Anmerkungen
1) Boy, Hans: Die Stadtlandschaft Oldenburg, Bremen 1954, S. 52; Braun, Hermann u. Neumann, Michael: Die Oldenburger Neustadtquartiere Dobben und Haarenesch, Oldenburg 1978, S. 85ff.; Neumann,
Michael: Stadtplanung und Wohnhausbau in Oldenburg 1850-1914, Oldenburg 1982; Asche, Kurt: Das Bürgerhaus in Oldenburg, Tübingen 1982, S. 103 f.; Deuter, Jörg: Oldenburg. Ein norddeutsches Stadtbild,
Oldenburg 1988, S. 153 ff.; Reinders-Düselder, Christoph: Oldenburg im 19. Jahrhundert, in: Geschichte der Stadt Oldenburg 1830-1995, Bd. 2, hg. von der Stadt Oldenburg, Oldenburg 1996, S. 27
ff.
2) Vgl. Schieckel, Harald: Zur Sozialstruktur der Stadt Oldenburg um 1900, in: Oldenburg um 1900 (hg. von der Handwerkskammer Oldenburg, der Landwirtschaftskammer Weser-Ems und der Oldenburgischen
Industrie- und Handelskammer), Oldenburg 1975, S. 205 ff.
3) Hier besonders in den vorstädtischen Vierteln vor dem Hase- und dem Hegertor. Vgl. Kämmerer, Christian (Bearb.): Stadt Osnabrück. Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland Baudenkmale in
Niedersachsen 32, Braunschweig 1986, S. 29 ff., 108 ff., 124 ff.
4) Braun/Neumann 1978 S. 83 f.
5) Drechsel, Wiltrud Ulrike/Gerstenberger, Heide und Marzahn, Christian (Hgg.): Östliche Vorstadt. Zur Entstehung eines Stadtteils im 19. Jahrhundert. Beiträge zur Sozialgeschichte Bremens 9, Bremen
o. J.